„Nordsächsische Zustände“ – wie die Demokratie im Leipziger Nordraum bedroht ist

Eine neue Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung und der „Chronik LE“ dokumentiert und analysiert Vorfälle und Strukturen im Leipziger Nordraum.

Gewalttaten mit rechtsextremem oder diskriminierendem Hintergrund sind im Landkreis Nordsachsen keine Ausnahmefälle. Das zeigt die aktuelle Ausgabe der Broschüre „Nordsächsische Zustände Spezial“, die jetzt von der Amadeu-Antonio-Stiftung und dem Dokumentationsprojekt „Chronik LE“ gemeinsam herausgegeben wurde.

In drei Kapiteln widmet sich die Analyse extrem rechten Strukturen, Verschwörungsideologien und Antisemitismus sowie demokratischen Anlaufstellen und Institutionen – alles mit Fokus auf den Landkreis Nordsachsen. Die Broschüre ist ein Nachfolgewerk einer 2012 erschienenen Dokumentation über Vorfälle rechtsextremer Gewalt.

„Wir wollen sammeln und analysieren, wer in Nordsachsen die Demokratie auf die Probe und infrage stellt. Mit der Vorstellung verschiedener Projektansätze wollen wir zudem einen Anstoß geben, demokratische Akteurinnen und Akteure in Nordsachsen zu stärken und zu unterstützen“, sagte Marie Künne vom Projekt debunk, die das Werk im Mehrgenerationenhaus Arche in Eilenburg vorstellte. Eingeladen zu der Gesprächsrunde hatte das Arche-Team am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Zuvor gab es bereits eine von Konfirmanden mitgestaltete Andacht in der Nikolaikirche.

Rassismus und Gewalt: 63 Vorfälle im vergangenen Jahr in Nordsachsen

63 Vorfälle dieser Art seien im vergangenen Jahr auf der Dokumentationsplattform chronikle.org dokumentiert worden. Diese reichen von neonazistischen Aufklebern und Graffiti über rassistische Beleidigungen bis hin zu körperlichen Angriffen. Die Beobachtungen, „die wir für Nordsachsen machen, müssen beispielhaft für die regionalen Besonderheiten insbesondere ländlicher Regionen in Ostdeutschland verstanden werden“, erklärt Künne. Der Landkreis sei wie andere Regionen auch von einem anhaltenden Strukturwandel und Bevölkerungsschwund, insbesondere der jungen Bevölkerung geprägt: „Lücken in sozialer Infrastruktur sowie das Fehlen sozialer Angebote für Jugendliche werden von rechten Akteurinnen und rechter Subkultur gefüllt.“

„Wir hoffen, mit dieser Broschüre eine genauere Beschreibung davon zu geben, durch wen und wie die Demokratie in Nordsachsen gefährdet ist“, erklärt auch Steven Hummel von „Chronik LE“. Bei der Auswahl der Vorfälle handelt es sich laut den Herausgebern um Beispiele, die verdeutlichen, auf welche Arten sich demokratiefeindliches Gedankengut und diskriminierende Einstellungen äußern.

Diebstahl, Razzia, Schmierereien – eine Auswahl der Vorfälle

  • 27. Januar 2023 – Anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocausts am 27. Januar ist eine Gruppe Schüler vom Torgauer Gymnasium in der Altstadt unterwegs, reinigt die hier verlegten Stolpersteine und legt Rosen zum Gedenken ab. Wenige Minuten, nachdem die Rosen in der Altstadt an Stolpersteinen abgelegt wurden, werden diese entwendet. Eine Schülerin äußert gegenüber der Torgauer Zeitung, dass sie darüber wenig verwundert ist: „Das ist zwar schade, aber irgendwie haben wir damit gerechnet.“
  • 4. März 2023 – Auf dem Oschatzer Neumarkt ist eine aus dem Spektrum der extrem rechten Partei „Freie Sachsen“ sowie der Bewegung der Pandemie-Leugner organisierte Kunstinstallation zu sehen. Die Installation besteht aus einem Sarg, 30 Leichensäcken, zahlreichen Aufstellern und Hinweisen auf vermeintliche Impfschäden/Impftoten. Die Installation soll an die angeblich massig durch die Corona-Impfungen verstorbenen Personen erinnern. Begleitet wird die Installation von einem Infostand mit einem Banner „Nein zur Impfpflicht“.
  • 25. April 2023 – In Delitzsch wird auf einem Verkehrszeichen ein Hakenkreuz angebracht. An einer angrenzenden Grundstücksmauer werden zwei weitere Graffiti mit den Schriftzügen „LOK“ sowie „1488“ gesichtet. 14 steht dabei für „14 Words“, einen englischen Satz mit 14 Wörtern, der den Fortbestand der „weißen Rasse“ propagiert. 88 steht jeweils für den achten Buchstaben im Alphabet und ist eine Chiffre für „Heil Hitler“.

SEK-Razzia bei einem Reichsbürger in Mügeln

  • 11. Juli 2023 – In Mügeln gibt es eine SEK-Razzia bei einem Reichsbürger: Am Dienstag stellen Polizei und SEK in einer Villa an der Franz-Mehring-Straße in Mügeln eine Waffe, Munition sowie eine waffenrechtliche Erlaubnis sicher. Der Besitzer dieser Gegenstände ist zum Zeitpunkt der Durchsuchung seines Hauses nicht anwesend. Das Landratsamt Nordsachsen hatte dem Mann nach einem Hinweis des Landesamts für Verfassungsschutz die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen. Der Mann ist der Reichsbürgerszene zuzuordnen.
  • 16. August 2023 – Während einer Zugfahrt von Finsterwalde nach Torgau zeigt ein Mann, der mit drei anderen Personen unterwegs ist, „einen verfassungswidrigen nationalsozialistischen Gruß“ und äußerst sich rassistisch. Beim Verlassen des Zuges greift einer der Männer einen nepalesischen Staatsangehörigen mit einer Flasche an.

Völkische Parolen in Sitzenroda

  • 25. September 2023 – In Eilenburg findet eine Demonstration gegen die Unterbringung von Geflüchteten in der Stadt statt. Rassistische Narrative über Geflüchtete und eine angeblich drohende „Asylflut“ dominieren den Protest, an dem sich die Freien Sachsen sowie die Jungen Nationalisten mit einem Banner beteiligen.
  • Oktober 2023 – Entlang der Straße zwischen Torgau und Oschatz, am Ortseingang von Sitzenroda, werden Ankommende von einem Schild in den Farben des Deutschen Reichs mit dem in Frakturschrift geschriebenen Spruch „Deutsches Dorf seit 1198“ begrüßt. Die Anlehnung an die völkische Reichsbürger-Bewegung ist deutlich.
  • 16. Januar 2024 – Auch aus dem aktuellen Jahr gibt es bereits die erste Meldung. In Delitzsch wird ein „White Lives Matter“-Sticker an den Aushängeschildern des Bahnhofs gesichtet. Hierbei wird die antirassistische Bedeutung der Black Lives Matter-Bewegung umgekehrt und sich stattdessen dezidiert für eine weiße Vorherrschaft eingesetzt.

Die Broschüre steht ab sofort zum kostenlosen Download auf den Internetseiten der beiden Organisationen zur Verfügung und wird in gedruckter Form an verschiedenen Stellen in Nordsachsen ausliegen.


Nora Kneer 25.02.2024

Projekt Partnerschaft für Demokratie: „Nordsachsen kein Hotspot rechter Gewalt“

Eine Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung und der „Chronik LE“ dokumentierte kürzlich Vorfälle von Rassismus, Reichsbürgern und Antisemitismus im Leipziger Norden. Das Projekt „Partnerschaften für Demokratie“ setzt sich für eine offene Gesellschaft ein und erklärt, warum Nordsachsen kein Hotspot rechter Gewalt ist.

anet Liebich sitzt an einem großen Tisch in der Geschäftsstelle der Diakonie in Delitzsch. Die 46-Jährige tippt auf der Tastatur ihres Laptops, schickt noch eine letzte Mail los. „An eine junge Frau in Krostitz“, erklärt sie. Mit ihr stecke sie gerade in einem Beratungsprozess. Am Ende soll ein lokales Projekt entstehen, bei dem sich Kinder politisch beteiligen können.

Schräg neben ihr sitzt Tobias Münscher-Paulig, vor ihm auf dem Tisch dampft eine Tasse Kaffee. Der 52-Jährige ist Geschäftsführer des Diakonischen Werks Delitzsch/Eilenburg. Die Diakonie ist Träger von zwei Partnerschaften für Demokratie (PfD). Eine für Eilenburg, Laußig und Bad Düben und eine für die restliche Region in Nordsachsen. Über eine PfD können Fördergelder für Projekte beantragt werden, wenn diese die Demokratie stärken.

Frau Liebich, seit 2020 leiten Sie die Partnerschaften für Demokratie in Nordsachsen. Wie funktioniert die Arbeit einer PfD?

Liebich: Die PfD ist im Förderprogramm „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verankert. Jede PfD entwickelt sich entsprechend den Bedürfnissen ihrer Region. Wir schauen, wer sich wo und wie engagiert, um dort zu unterstützen – finanziell und organisatorisch. In Nordsachsen besteht sie seit mehr als zwölf Jahren, wobei wir 2020 die Trägerschaft übernommen haben. Wir haben damals viele Fragen gestellt: Welche bestehenden Initiativen gibt es vor Ort? Welche Vereine, Gruppen und Jugendlichen sind aktiv engagiert? Das war während der Covid-19-Pandemie.

„Demokratie bedeutet nicht nur das Wählen“

Ein herausfordernder Start.

Liebich: Ja, aber es gelang uns dennoch mit den Menschen in Kontakt zu treten, sei es telefonisch oder über Videoanrufe. Das Engagement der Menschen ist sehr vielfältig. Vor allem in ländlichen Gegenden orientieren sich die Aktivitäten oft daran, was die jeweilige Gemeinschaft benötigt. Ein Beispiel ist Löbnitz, wo eine Gruppe durch die PfD einen Treffpunkt für Jugendliche gestaltet hat. Die Gemeinde stellte Werkzeuge bereit, während Freiwillige das Gelände mit den Jugendlichen aufbereiteten und Sitzgelegenheiten schufen. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie angesichts der großen politischen Entscheidungen wenig bewirken können. Doch Demokratie bedeutet nicht nur das Wählen.

Wie wird die Durchführung dieser Projekte durch die PfD finanziert?

Liebich: Es gibt verschiedene Fonds. Beim Einzelprojektfonds können bis zu 20.000 Euro beantragt werden. Der Kleinprojektfonds sowie der Jugendfonds ermöglichen Förderungen bis zu 1.000 Euro.

Münscher-Paulig: Im Kern geht es um Partizipation. Hierbei achten wir besonders darauf eine gewisse Objektivität zu wahren. Jugendliche sind die Hauptzielgruppe und unser Ziel ist es ihnen niedrigschwellige Möglichkeiten zu bieten, sich einzubringen. Ungeachtet ihrer politischen Orientierung.

Wo setzen Sie die Grenze?

Liebich: Unsere Projekte sind frei von jeglichen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Holocaustleugnung, Diskriminierung, Hass oder Intoleranz und ähnlichen Punkten. Unsere Aufgabe ist jedoch nicht, die Meinungsbildung zu übernehmen.

Münscher-Paulig: Genau. Gleichzeitig können die niedrigschwelligen Projekte dazu beitragen, Jugendliche, die bereits von extremistischen Ideologien beeinflusst sind, zu erreichen. Doch dies gelingt uns nicht, wenn wir ein Gespräch von vornherein ablehnen und solche Räume erst gar nicht schaffen.

„Wir fragen nicht nach der politischen Ausrichtung einer Person“

Der Grundgedanke lautet also: Wir müssen für alle zugänglich sein. Insbesondere für Jugendliche, die Gefahr laufen, extremistischen Ideen zu verfallen. Aber suchen diese Jugendlichen dann auch die Unterstützung der PfD?

Liebich: Bislang hatten wir keine direkte Beteiligung von Jugendlichen, die als extremistisch eingestuft werden könnten. Wenn sich jedoch junge Menschen in diskriminierender Weise äußern, suchen wir das Gespräch und präsentieren verschiedene Interpretationen und Sichtweisen. Grundsätzlich fragen wir nicht nach der politischen Ausrichtung einer Person, sei sie links, rechts, rot, gelb, blau oder sonstiges. Es ist aber wichtig in diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass die AfD in Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird.

Wie viele Projekte fördert die PfD jährlich? Und wie viele Anträge erhalten Sie?

Münscher-Paulig: Bei unseren Kleinprojekten fördern wir in der Regel bis zu zwölf Aktivitäten im Jahr.

Liebich: 2022 wurden zwölf kleine und sieben große Projekte finanziert, sowie zehn Jugendprojekte. Das betrifft ausschließlich die Partnerschaft in Nordsachsen. Die zweite PfD in Eilenburg, Laußig und Bad Düben unterstützte zusätzlich etwa 15 Projekte.

Münscher-Paulig: Für 2024 sind bereits zahlreiche größere Projekte in der Planung.

Ist deren Finanzierung gesichert?

Münscher-Paulig: Für 2024 sollte die Finanzierung gesichert sein. Was danach passiert, ist ungewiss.

„Rechte politische Einstellungen sind ein Teil unserer Gesellschaft“

Die kürzlich veröffentlichte Broschüre „Nordsächsische Zustände Spezial“ von der Amadeu-Antonio-Stiftung und „Chronik LE“ bezeichnet Nordsachsen als einen „Hotspot“ rechter Gewalt. Wie beurteilen Sie die Zustände in Nordsachsen?

Liebich: Aus meiner Sicht unterscheiden sie sich nicht wesentlich von anderen Landkreisen in Sachsen oder anderen Bundesländern. Wir haben eine breite Palette von Ansichten und Haltungen. Dazu gehören auch viele Menschen, die bestimmte rechte Ansichten nicht ablehnen. Ein typisches Beispiel ist die Diskussion über Migration. Ist es automatisch rechts, eine abweichende Meinung dazu zu haben? Es gibt in Nordsachsen genauso wie überall Menschen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen, von links über die politische Mitte bis hin zu rechts.

Münscher-Paulig: Im Landkreis gibt es meiner Meinung nach eine ähnliche Menge an rechten Akteuren wie in den anderen sächsischen Landkreisen, die öffentlich sichtbar sind.

Liebich: Rechte politische Einstellungen sind ein Teil unserer Gesellschaft. Wenn jemand übergriffig wird, andere beleidigt oder rassistisch handelt, schreiten wir und viele andere Menschen in Nordsachsen ein und sagen: „Stopp. Das ist inakzeptabel“. Nie wieder ist heute, hört man oft. Und ich denke, ja, darauf müssen wir sehr achten.

Münscher-Paulig: Ich bin ein Verfechter des Dialogs mit allen. Viele unserer Projekte sind nicht vordergründig politisch. Demokratie bezieht sich nicht nur auf Politik, sondern auf die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, den Prozess der Verhandlung und die Fähigkeit, Kompromisse zu finden.

Viele Menschen machen sich derzeit Sorgen um die Demokratie. Sie fürchten den Populismus und Extremismus. Was würden Sie diesen Personen raten?

Liebich: Wir erhalten solche Anrufe. Ich frage dann die Personen, ob sie sich einer bestehenden Initiative anschließen möchte, um Unterstützung zu finden. Der Austausch mit anderen ist hilfreich. Reden Sie nicht nur über Probleme, sondern auch über Hobbys, Arbeit und über das vielfältige Engagement für Demokratie, das es gibt. Dies verhindert eine einseitige Wahrnehmung. Wenn man schwanger ist, sieht man plötzlich überall Schwangere. Und wenn man Angst vor etwas hat, registriert man nur noch Dinge, die diese Angst verstärken.

Wenn eine motivierte Person noch nicht genau weiß, was sie tun möchte und sich an die PfD wendet – wie geht es dann weiter?

Liebich: Zunächst frage ich nach den Interessen und Vorstellungen. Mit welcher Kompetenz, welchem Ziel wollen sie sich einbringen? Dann begleiten wir den Prozess der Ideenentwicklung. Wir knüpfen Kontakte zu unseren Partnern und helfen bei Bedarf beim Antragsverfahren. Am Ende des Jahres treffen sich alle Projektträger, um sich auszutauschen. Es geht nicht darum, die Welt zu retten, sondern darum, einen kleinen Beitrag zu leisten und das eigene Umfeld ein Stück besser zu machen. Und dafür gibt es unzählige Möglichkeiten.

Zu den Personen
Janet Liebich koordiniert seit 2020 „Demokratie leben“ bei der Diakonie. Die 46-jährige Betriebswirtin arbeitete im Management verschiedener Hotels, bevor sie sich für ein Psychologiestudium und eine Heilpraktikerausbildung entschied. Seit 2014 ist sie als freiberufliche Beraterin selbstständig und engagiert sich seit 2016 beim Diakonischen Werk Delitzsch/Eilenburg.

Tobias Münscher-Paulig kommt ursprünglich aus Bad Langensalza in Thüringen. Der studierte Gesundheitswissenschaftler arbeitet seit zwanzig Jahren in leitender Funktion für Diakonische Träger. Die Leidenschaft für die Demokratie kannte der 52-Jährige schon als Teenager und engagierte sich während der Wendezeit bei Demonstrationen.


Nora Kneer 25.02.2024

Ist Nordsachsen besonders rechtsextrem? Eine Spurensuche in Zahlen

Hotspot oder Durchschnitt: Gibt es in Nordsachsen mehr Rechtsextreme oder mehr rechtsmotivierte Gewalt als in anderen sächsischen Landkreisen? Ein Blick in die Zahlen des Verfassungsschutzes.

Nordsachsen als „Hotspot“ für rechtsmotivierte Gewalt: Das postuliert eine Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung und des Dokumentationsprojekts „Chronik LE“. Janet Liebich und Tobias Münscher-Paulig von der Partnerschaft für Demokratie Nordsachsen kritisieren diese Aussage. Für Liebich ist Rechtsextremismus in Nordsachsen „nicht sehr viel anders als im Rest von Sachsen oder auch in anderen Bundesländern“.

Sind die „nordsächsischen Zustände“ eine unfaire Generalisierung oder ein objektiver Blick auf die Realität? Der Jahresbericht des Verfassungsschutzes wirft einen Blick auf rechtsmotivierte Gewalt. 2022 zählte der Verfassungsschutz in Sachsen 1709 rechte Straftaten, darunter 58 Gewaltdelikte. Davon fallen 102 Straf- und fünf Gewalttaten auf Nordsachsen.

Im Vergleich zu den anderen Landkreisen also weniger Straftaten, aber überdurchschnittlich viele davon gewalttätig. Allerdings ist Nordsachsen mit weniger als 200 000 Einwohnerinnen und Einwohnern auch der kleinste sächsische Landkreis – pro 1000 Menschen kommt der Landkreis auf etwa 0,52 rechtsmotivierte Straftaten. Der Durchschnitt im Freistaat liegt deutlich darunter mit 0,43.

„Größte Herausforderung bleibt der Rechtsextremismus“

Ein Großteil der Straftaten fällt unter den Tatbestand „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“. Zum Beispiel ermittelt die Polizei in Eilenburg, weil dort am 30. Januar an einem ehemaligen Supermarkt in der Kranoldstraße rund 20 neonazistische Symbole gesprayt wurden. Zu sehen sind unter anderem SS-Runen und andere rechte Parolen.

Armin Schuster (CDU), der sächsische Innenminister, stellt fest: „Die größte Herausforderung bleibt der Rechtsextremismus“. Die sächsische AfD gilt seit Dezember laut Verfassungsschutz als rechtsextrem. Bei einer Wahlumfrage in Sachsen von Anfang Januar erhielt sie dennoch 34 Prozent der Stimmen – mehr als in jedem anderen Bundesland.

Relativ wenige rechtsextreme Menschen – aber Erfolge für „Freie Sachsen“

„Etwa 4350 Rechtsextremisten haben wir im vergangenen Jahr [2022] im Freistaat gezählt – eine unverändert hohe Zahl“, sagt Schuster. Bundesweit registrierte der Verfassungsschutz rund 38 800 rechtsextreme Personen. Damit liegt Sachsen deutlich über dem Durchschnitt. Nordsachsen ist jedoch neben Meißen der Landkreis mit der niedrigsten Zahl an als rechtsextrem eingestuften Personen.

Mitglieder der „Freien Sachsen“ sind dabei noch nicht mitgezählt, obwohl der Verfassungsschutz die Partei als rechtsextrem einstuft. Bei den Landratswahlen erreichte deren Kandidatin Uta Hesse in Nordsachsen 20 Prozent der Stimmen und damit den zweiten Platz. Die „Freien Sachsen“ organisierten 2022 insgesamt 82 rechtsextreme Demonstrationen, beispielsweise in Eilenburg am 25. September 2023 eine Demonstration gegen die Unterbringung von Geflüchteten in der Stadt.